Deutsche Minderheit

Besuch in Nordschleswig: Natalie Pawlik will Minderheiten sichtbar machen

Besuch in Nordschleswig: Natalie Pawlik will Minderheiten sichtbar machen

Natalie Pawlik will Minderheiten sichtbarer machen

Apenrade/Berlin
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Natalie Pawlik
Natalie Pawlik (rechts) im Gespräch mit den beiden Schülerbotschafterinnen Wencke Andresen und Amelie Petry am Deutschen Gymnasium für Nordschleswig (DGN) Foto: Karin Riggelsen

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Die Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten ist zu Besuch in Nordschleswig und wird auch die Festrede beim Deutschen Tag halten. Die 31-jährige Spätaussiedlerin erklärt im Interview mit dem „Nordschleswiger“, wie ihre eigene Biografie ihre Arbeit beeinflusst und warum für sie Minderheitenpolitik Friedenspolitik ist.

Natalie Pawliks Job ist es, sich für Minderheiten einzusetzen. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Minderheiten ihre Identität, ihre Sprache, ihre Kultur ausleben können, dass sie sichtbar sind und in der Gesellschaft auch frei von Diskriminierung leben können“, sagt sie dem „Nordschleswiger“.

Die Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten ist am Donnerstag zu einem dreitägigen Besuch nach Nordschleswig gereist, um die deutsche Minderheit besser kennenzulernen. „Es ist natürlich immer noch mal etwas anderes, vor Ort zu sein und sich das anzuschauen und das Persönliche erleben zu können, was letztendlich hinter einer Schule, hinter einem Kulturzentrum an Engagement, an Motivation und auch an Bedürfnissen von den Menschen steckt.“

So steht neben dem Besuch der Bildungsstätte Knivsberg und des Deutschen Gymnasiums für Nordschleswig (DGN) auch eine Stippvisite im Deutschen Museum an. Außerdem soll Pawlik die Festrede beim Deutschen Tag am Sonnabend in Tingleff (Tinglev) halten.

Wir müssen dafür sorgen, dass die Minderheiten ihre Identität, ihre Sprache, ihre Kultur ausleben können, dass sie sichtbar sind und in der Gesellschaft auch frei von Diskriminierung leben können.

Natalie Pawlik

Pawlik selbst ist Spätaussiedlerin

Die 31-jährige SPD-Politikerin wurde 1992 in Wostok in Russland geboren. 1999 kam sie mit ihrer Familie als Spätaussiedlerin nach Deutschland und lebte hier zunächst im Grenzdurchgangslager Friedland. Anschließend zog die Familie nach Bad Nauheim im hessischen Wetteraukreis. Hier begann Pawlik bereits in der Schule, sich politisch zu engagieren.

Pawlik nennt die erste Zeit ihrer Kindheit in Deutschland einen „großen Umbruch“. „Wenn man überlegt, von Sibirien zu viert in ein kleines Zimmer in einem Aussiedler-Wohnheim zu kommen, ist das natürlich etwas, das sehr prägend ist“, sagt die Politikerin. „In der Gesellschaft anzukommen, sich auch den Wohlstand erarbeiten zu können, auch anerkannt zu werden als jemand, der eben zu dieser Gesellschaft dazugehört und aus legitimen Gründen hier ist“, das sei mit großen Hürden verbunden gewesen. 

Natalie Pawlik
Natalie Pawlik Foto: Karin Riggelsen

Die in ihrer Kindheit und Jugend gesammelten Erfahrungen haben Pawlik politisiert. „Meine Biografie ist für mich immer auch Antrieb gewesen, unsere Gesellschaft zu verbessern und in die Politik zu gehen“, sagt sie. Angefangen habe das in ihrer Schule. Damals setzte sie sich etwa für saubere Toiletten ein. In der Schülervertretung habe sie gelernt, „wie wichtig es ist, auch die eigene Stimme zu erheben und sich einzusetzen“. Die Demokratie halte die Möglichkeiten bereit, mitzumachen. So fand Pawlik ihre politische Heimat bei der SPD.

Allein die Europeada, die jetzt stattfinden wird in der deutsch-dänischen Grenzregion, das ist ziemlich beeindruckend und hat auch einen Wert, der über die Anliegen der Minderheit hinausgeht.

Natalie Pawlik

Start einer politischen Karriere

Nach dem Realschulabschluss und anschließendem Fachabitur studierte Pawlik Geschichts- und Kulturwissenschaften und machte einen Master in Gesellschaft und Kulturen der Moderne. Auch an der Universität engagierte sie sich im Studierendenparlament. Neben ihrem Studium begann sie die Arbeit im Abgeordnetenbüro von Europaparlamentarier Udo Bullmann und leitete sein Wahlkreisbüro in Frankfurt am Main seit 2020.

Sie selbst war Stadtverordnete und Mitglied des Kreistags. Bei der Bundestagswahl 2021 wurde sie als Direktkandidatin ihres Wahlkreises in den Bundestag gewählt. Nur wenige Monate später wurde sie am 14. April 2022 als Nachfolgerin von Bernd Fabritius (CSU) zur Minderheitenbeauftragten ernannt. „Ich kannte die Beauftragung, aber ich habe mir nicht vorstellen können, direkt so ein führendes Amt zu übernehmen“, sagt Pawlik rückblickend. Im Telefon-Interview betont sie, sie habe sich in den ersten Monaten überhaupt erst mal in die Bundespolitik und die Prozesse einarbeiten müssen.

Eigene Erfahrung ins Amt einbringen

Nach der Ernennung habe sie sich geehrt gefühlt und sei gleichzeitig überrascht gewesen. Eine Woche musste sie aber dann noch darüber nachdenken, bevor sie zusagte. „Auch aus der Motivation heraus, etwas Gutes zu tun für die Menschen und ihre Anliegen, die ich ja auch persönlich kenne.“

Ihre eigenen Erfahrungen würden ihr dabei helfen, das Amt auszuüben, sagt die Russlanddeutsche. „Das sind ganz wichtige Gruppen, für die ich dann letztendlich zuständig bin, von denen leider viel zu wenige Menschen in der Breite der Gesellschaft Bescheid wissen.“ Ihre Biografie ermögliche ihr eine ganz andere Sensibilisierung und Empathie für die Anliegen von Aussiedlerinnen und Aussiedlern, aber auch von nationalen Minderheiten. „Ich bin ja im Kern zuständig für drei unterschiedliche Gruppen, die auch in ihren eigenen Gruppierungen noch mal unterschiedlich sind.“ 

Minderheiten sichtbar machen

Die Politikerin möchte die Belange der Minderheiten sichtbar machen. „Es geht um Chancen in einer Gesellschaft, darum, in der eigenen Vielfalt anerkannt zu werden und sichtbar zu sein, um von der Breite der Gesellschaft und in der Gesellschaft und als Teil der Gesellschaft akzeptiert zu werden.“

Letztendlich gehe es im Einzelnen immer auch um die ganz individuellen Bedürfnisse. „Also die deutsche Minderheit in Dänemark, die hat andere Sorgen als die deutsche Minderheit in der Ukraine.“ Und trotzdem haben sie alle ihre berechtigten Anliegen, die sie als Beauftrage in die Politik tragen müsse, um dafür zu werben, dass es politische Mehrheiten im Parlament für diese Anliegen gibt. 

Die aktuelle politische Lage in Deutschland und der Welt sei für ihre Arbeit daher noch mal eine Herausforderung, sagt Pawlik. „Im Großen und Ganzen geht es darum, dafür zu sorgen, dass die Strukturen, die wir haben, gestärkt bleiben und auch in Zukunft noch existieren können, weil sie enorm wichtig sind für die politische Lage, in der wir leben“, sagt sie im Hinblick auf den Ukraine-Krieg, Nahost-Konflikt und eine zunehmende Desinformation.

Minderheitenpolitik ist Friedenspolitik

Denn Pawlik versteht Minderheitenpolitik als einen wesentlichen Teil von Friedenspolitik. „Wir sehen ja in der deutsch-dänischen Grenzregion, dass Menschen, die sich jahrhundertelang bekriegt haben, Frieden schaffen können.“ 

Sie habe daher ein großes Interesse daran, Projekte in den jeweiligen Siedlungsgebieten bei den deutschen Minderheiten in den Bereichen Sprache, Unterricht oder Kultur beizubehalten und zu unterstützen. Dies gelte auch für aktuelle geopolitische Herausforderungen, etwa in der Ukraine, wo gegebenenfalls Hilfen zur Unterstützung der Minderheit vor Ort umgewidmet werden. 

 

Natalie Pawlik mit DGN-Schulleiter Jens Mittag (links), dem BDN-Vorsitzenden Jürgen Hinrichsen und BDN-Generalsekretär Uwe Jessen.
Natalie Pawlik mit DGN-Schulleiter Jens Mittag (links), dem BDN-Hauptvorsitzenden Hinrich Jürgensen und BDN-Generalsekretär Uwe Jessen Foto: Karin Riggelsen

Auf Notwendigkeiten aufmerksam machen

Es gehe aber auch um Dinge, wie Gebäudemodernisierungen. „Da haben wir ja auch bei der deutschen Minderheit in Dänemark eine große Herausforderung, was die Investitionen in die Schulen, Kulturzentren und so weiter angeht, die wieder anstehen.“

Es sei nicht leicht, diese Bedürfnisse alle unter einen Hut zu bringen. „Ich bin aber nicht in der Politik, um es mir leicht zu machen, sondern um Herausforderungen zu begegnen.“ Die Arbeit sei zwar anstrengend und vielseitig, aber sie gebe einem auch sehr viel Positives zurück. 

Ihre Funktion kann sie immer wieder nutzen, um auf die Notwendigkeiten aufmerksam zu machen. „Das wird durchaus gehört in der Bundespolitik“, sagt die Beauftragte. „Ich bin selbst ja auch Parlamentarier und habe einen guten Draht zu anderen Parlamentariern in minderheitenpolitischen Fragen. Und am Ende geht es darum, eine Sichtbarkeit für die Themen zu schaffen, im Parlament, in der Bundespolitik, im Ministerium und dafür zu werben, dass das eben auch Unterstützung findet“, beschreibt Pawlik ihren Einfluss in Berlin. 

Europeada als Leuchtturm

Kennengelernt habe sie Vertreterinnen und Vertreter der Minderheiten aus der deutsch-dänischen Grenzregion schon vorher. „Ich bin schon einigen Menschen begegnet, die sich für die Anliegen der deutschen Minderheit in Dänemark, aber auch der dänischen Minderheit in Deutschland starkmachen, und ich nehme die als sehr aktiv wahr“, sagt Pawlik. „Ich muss sagen, dass es trotz aller Herausforderungen, die wir haben, immer unglaublich konstruktiv vorangeht in der Zusammenarbeit.“ Dies sei sehr bereichernd für die Demokratie. 

Die Minderheiten im Grenzland würden sich extrem in sämtliche Bereiche einbringen. „Allein die Europeada, die jetzt stattfinden wird in der deutsch-dänischen Grenzregion, das ist ziemlich beeindruckend und hat auch einen Wert, der über die Anliegen der Minderheit hinausgeht.“ Hier gehe es um wirkliche Friedenspolitik.

„Gesamtgesellschaftlich bei uns in Europa und der gesamten Welt ist es extrem wichtig, dass wir diese Stimmen haben, die für ein friedliches Zusammenleben, für Vielfalt werben und dass es eben gemeinsam besser gelingt als gegeneinander.“

Am Ende sind die jungen Menschen die Zukunft der Minderheit und unserer Gesellschaft und die zu stärken und zu unterstützen, ist mir ein wichtiges Anliegen.

Natalie Pawlik

Jugendarbeit ein Schwerpunkt

Auch ein Besuch des Deutschen Gymnasiums für Nordschleswig steht auf dem Programm der Politikerin. Dort werden Schülerbotschafterinnen und -botschafter Pawlik durch die Schule führen. „Was die Schülerbotschafter in der Grenzregion leisten, um gegenseitig Vorurteile abzubauen und das Miteinander zu stärken, ist unglaublich beeindruckend.“

Die Jugendarbeit ist eine der Kernaufgaben von Pawlik. „Am Ende sind die jungen Menschen die Zukunft der Minderheit und unserer Gesellschaft, und die zu stärken und zu unterstützen, ist mir ein wichtiges Anliegen.“ Sie selbst habe sehr lange viel Jugendarbeit gemacht. 

Pawlik hebt ein Beispiel hervor: „Ich war im August auf einem Sommercamp von den Jugendlichen der deutschen Minderheiten, und es war so unfassbar beeindruckend, wie Jugendliche aus den verschiedensten Ländern in Europa zusammengekommen sind und durch die deutsche Sprache, die sie verbunden hat, verschiedenste Perspektiven diskutiert haben – über Klimapolitik, Migrationspolitik und was eigentlich ihre gemeinsamen Werte sind.“ Genau diese Formate brauche es, um eine friedliche Zukunft zu haben.

Natalie Pawlik
Natalie Pawlik (von links) bei der Führung durch das Deutsche Gymnasium für Nordschleswig mit den DGN-Schülerinnen Amelie Petry und Wencke Andresen. Foto: Karin Riggelsen

Neue Impulse in Nordschleswig

Bei ihrem Besuch in Nordschleswig hoffe sie, die deutsche Minderheit besser kennenzulernen, viele Impulse für ihre Arbeit mitzunehmen und zu erfahren, welche Bedürfnisse es gibt. Außerdem freue sie sich auch auf den Deutschen Tag, der ja mit ganz vielen Traditionen einhergehe.

„Ich kenne zwar den Bund der Nordschleswiger, aber sowas vor Ort alles noch mal zu erleben und auch mit der Basis ins Gespräch zu kommen, nicht nur mit Funktionären, das ist schon sehr schön, und da freue ich mich ganz besonders drauf.“

Worten Taten folgen lassen

Den Menschen mache Pawlik immer wieder in Gesprächen deutlich, dass sie es „unfassbar ernst meint“, sie zu unterstützen. „Ich zeige meinen Einsatz am Ende nicht nur durch Worte, sondern vor allem durch das, was ich tue.“ Nichtsdestotrotz sei es wichtig, einfach auch mal zuzuhören in der Politik, um zu verstehen, was die Leute bewegt, was sie brauchen und wo es brennt.

Am Ende sei entscheidend, dass es nicht nur bei Gesprächen bleibe, sondern auch Taten folgen. Der Dialog sei ihr wichtig, betont Pawlik. „Man arbeitet eben gemeinsam und stetig an Projekten.“ Ein Beispiel in der deutsch-dänischen Grenzregion sei die Finanzierung der Sanierung des Deutschen Museums Nordschleswig. „Das können wir auch vielleicht beim Gymnasium und an den Schulen hinkriegen, wo es ja auch massiven Investitionsbedarf gibt.“

Weitere Beispiele seien die Stärkung der Selbstorganisation der Ehrenamtlichen in den Minderheiten und die Verbesserung der Jugendarbeit durch das Minderheitensekretariat und die Strukturen der FUEN (Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten).

Ausruhen sollte man sich natürlich trotzdem nicht, sagt Pawlik. „Wir müssen gucken, wie wir weiter noch mehr Erfolge erzielen können und auch die Herausforderungen meistern, die noch offenstehen und angegangen werden müssen.“

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Kommentar

Jakob Münz
Jakob Münz Praktikant
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