Kulturkommentar
„Ich habe einen großen Fehler gemacht“
Ich habe einen großen Fehler gemacht
Ich habe einen großen Fehler gemacht
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Manchmal muss man zu seinem Glück gezwungen werden – auch an einem Sonntagabend, an dem das Sofa ruft. Chefredakteur Gwyn Nissen macht sich in seinem Kulturkommentar Gedanken darüber, wie er über 25 Jahre lang eine Hamburger A-Cappella-Gruppe ignorieren konnte.
Ich gebe es ja zu: Ich habe sie ignoriert, absichtlich übersehen und abgestempelt. Ich brauchte Lalelu einfach nicht in meinem Musikuniversum, in meinem Leben.
Dabei hat es genügend Gelegenheiten gegeben, die A-Cappella-Comedy-Gruppe aus Hamburg in Nordschleswig zu erleben. Bereits kurz nach ihrer Gründung Mitte der 90er-Jahre führte es die Gruppe zum ersten Mal zur deutschen Minderheit nach Dänemark, und seitdem ist sie hier mit ihren Auftritten in der Büchereizentrale mehr oder weniger festes Inventar.
Nur nicht bei mir.
Aufgeschlossener Ignorant
Dabei sehe ich mich schon als neugierigen Menschen, der neuer Musik gegenüber aufgeschlossen ist. Oder auch neuen Comedians. Ich schaue mir im Netz die neuen Stand-up-Komiker im „Live at the Apollo“ an, höre mir neue Musik in der Musik-App an und setze mich meist minutiös mit dem Programm des Tønder Festivals auseinander, damit mir ja nichts Wichtiges entgeht.
Lalelu dagegen – bei mir quasi um die Ecke in der Büchereizentrale – habe ich einfach ignoriert. Kein Interesse gezeigt. Links liegen gelassen.
Das war ein Fehler. Ein großer Fehler. Ein sehr großer Fehler, den ich mein Leben lang bereuen werde – ich schäme mich fast (ein wenig Übertreibung schadet nicht).
Sonntagabend – also dann, wenn man eigentlich am liebsten auf dem Sofa liegt und gar nicht ans Aufstehen denkt, denn dann hat einen wieder der Montag eingeholt – geschah es endlich. Aus irgendeinem Grund (= meine Frau) saß ich nun doch in der Pyramide im Haus Nordschleswig statt zu Hause in der gewohnten Sofa-Beule mit der Fernbedienung.
Bühnenbild à la Sven
Lalelu, verkündete das flotte Bühnenbild – tolle und geschmackvolle Deko, dachte ich. Nur, dass dies gar nicht zur Bühnen-Ausstattung der Gruppe gehört. Die großen Buchstaben hat Hausmeister Sven Fröhlich von der Bücherei für Lalelu gemacht. Das Bühnenbild gibt es nur bei Shows in Nordschleswig.
Und dann wurden mir die Beine weggeschlagen. Lalelu ist ein musikalisches und komödiantisches Feuerwerk der Extraklasse – von professionellen Musik-Comedian-Multitalenten streichelnd und stichelnd zugleich auf den Punkt gebracht.
Auch wenn sich Sanna Nyman, Jan Melzer, Frank Valet und Tobias Hanf über unsere (= die deutsche Politik) lustig machen und wir im Publikum alle nicken und lachen, holt uns Jan Melzer zurück in die Realität: „Aber wer von uns will den Job machen?“ Ja, wer?
Lalelu nimmt in ihrer Show „Alles richtig gemacht“ nämlich nicht nur Politikerinnen und Politiker sowie Prominenz aufs Korn, sondern vor allem auch uns – das Publikum. Wir sind es, die mit blöden Sprüchen, Halbwahrheiten und Egoismus die Gesellschaft spalten. Denn ich mache schließlich alles richtig, und die anderen liegen falsch.
Weisheiten und Wahrheiten
Diese Weisheiten und Wahrheiten, kombiniert mit einem außergewöhnlichen musikalischen Talent und Können, machen Lalelu aus. Es ist einfach faszinierend, was sie mit der bloßen Stimme für einen Sound schaffen. Sie kombinieren Musikhits von Toto, Trio, Elton John, Police, Rammstein oder Depeche Mode und vielen anderen mit gesellschaftskritischen Texten und Stand-up-Elementen sowie knallharter Satire. Eine ungewöhnliche, aber gelungene Kombination.
Dass die vier Laleluler darüber hinaus auch noch äußerst sympathisch, emphatisch und authentisch vor ihr Publikum treten und es involvieren auf ihrer Reise durch die gespaltene Gesellschaft macht Lalelu zu einem noch größeren Erlebnis.
Ich weiß, ich habe einen großen Fehler gemacht. Ich kann jetzt nicht mehr ohne Lalelu leben – ich bin Fan geworden. Die nächste Gelegenheit kommt bestimmt bald – in einer deutschen Bücherei bei dir um die Ecke. Wobei – eigentlich müsste man eine ganze Halle mit 400 bis 500 Leuten füllen können. Eine Nordschleswig-Arena-Show mit Lalelu? Wäre auch ein Ding – die Nordschleswigerinnen und Nordschleswiger hätten es verdient – und Lalelu natürlich auch.