75 Jahre „Der Nordschleswiger“
Ein eindrucksvolles Gespräch, das Spuren hinterlässt
Ein eindrucksvolles Gespräch, das Spuren hinterlässt
Ein eindrucksvolles Gespräch, das Spuren hinterlässt
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„Der Nordschleswiger“ wurde am 2. Februar 75 Jahre alt. Wir bringen im Laufe des Jubiläumsjahres eine Serie über uns selbst. In diesem Abschnitt erinnern sich Mitarbeiter an eine Arbeitsaufgabe, die einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen hat. Kopenhagen-Korrespondent Walter Turnowsky lässt eines seiner ersten großen Interviews nicht los.
Walter Turnowsky ist seit April 2020 Korrespondent des „Nordschleswigers“ in Kopenhagen. Mit Büroplatz auf „Christiansborg“, dem Sitz des dänischen Parlaments, erlebt der 57-Jährige das politische Geschehen in Dänemark hautnah mit. Der Corona-Shutdown prägte seinen Jobeinstieg mit Pressekonferenzen, bei denen die Pandemie im Mittelpunkt stand. Wenn Turnowsky daran zurückdenkt, welche Arbeitsaufgabe den größten Eindruck auf ihn machte und ihm bis heute unvergessen geblieben ist, ist es sein Gespräch über Leben und Tod mit dem in Kopenhagen ansässigen Kulturjournalisten Niels Frid-Nielsen.
Wenn das Leben am seidenen Faden hängt
Turnowsky führte das Interview mit dem bekannten Kulturreporter, Kommentator und Autor im Mai 2020. Kurz danach erschien Niels Frid-Nielsens Buch „I en tynd tråd – om at leve med en alvorlig sygdom“, beim Verlag „Gyldendal“.
Es ist, wie Turnowsky berichtet, eine sehr persönliche Erzählung darüber, wie ein schleichender sogenannter gutartiger Gehirntumor vor rund zehn Jahren begann, Frid-Nielsens Persönlichkeit zu ändern, ohne dass er selbst davon etwas bemerkte. Er spricht über eine Operation, die ihn auch das Leben hätte kosten können. Aber vor allem ist es eine Erzählung darüber, was man verliert, doch vielleicht auch darüber, was man entdeckt, wenn ein Tumor auf seine Gehirnzellen gedrückt hat.
Nach einem kräftezehrenden Krankheitsverlauf und Rehabilitation hatte Frid-Nielsen zunächst eine Aufforderung, ein Buch zu schreiben, ausgeschlagen. Nach reifer Überlegung war er jedoch zu der Erkenntnis gekommen, dass er mit einem Buch vielleicht Menschen helfen könnte, die sich heute in einer ähnlichen Situation befinden. Und auf diese Weise könne er vielleicht auch ein wenig an die Menschen zurückgeben, die ihn gerettet haben.
Begegnung in Grönland
„Ich kenne Niels privat“, erzählt Walter Turnowsky. Der „Nordschleswiger“-Korrespondent arbeitete, bevor er zum Web-Medium der deutschen Minderheit kam, unter anderem dreieinhalb Jahre in der grönländischen Hauptstadt Nuuk. Frid-Nielsen bat ihn bei einer Reportage in Grönland um eine Experteneinschätzung, erinnert sich Turnowsky. Der Kontakt blieb bestehen, und die Journalisten treffen sich, nachdem Turnowsky in die dänische Hauptstadt zurückkehrte und zunächst für das grönländische Medium „Sermitsiaq.AG“ arbeitete, ab und an zu einer Tasse Kaffee oder einem Glas Wein.
Krankheit zunächst privat gehalten
Im Winter 2019/2020, als feststand, dass das Buch einige Monate später erscheint, habe ihn Frid-Nielsen gefragt, ob er Interesse daran habe, das Werk zu besprechen. „Niels hatte damals nicht viel über seine Krankheit gesprochen. Er hatte die Krankheit offenbar privat halten wollen“, sagt Walter Turnowsky. Dabei habe die Unsicherheit über seine eigene Identität und die Suche nach der eigenen Rolle in der Gesellschaft – Faktoren, die bei dem späteren Interview zum Vorschein kommen – wahrscheinlich auch mitgespielt, überlegt Turnowsky.
Thema, das alle Menschen angeht
Als sich der Termin für die Buchveröffentlichung näherte, stand fest, dass Turnowsky sich beruflich verändert und zum „Nordschleswiger“ wechselt. Am Interviewtermin mit Frid-Nielsen hielten die beiden Journalisten fest. „Das ist ein Thema, das auch für Leser des ,Nordschleswigers‘ relevant ist. Denn es geht uns alle an. Wir können alle in eine Krise stürzen“, sagt Walter Turnowsky.
Der Korrespondent hat Erfahrung damit, sich mit schwierigen Themen auseinanderzusetzen. Sexuelle Gewalt, Selbstmord und ähnliche Problemstellungen und wie man mit Schicksalen und Traumata umgeht, sind Themenbereiche, mit denen sich Turnowsky zum Beispiel bei seiner Arbeit in Nuuk befasste.
„Wie beeinflusst es unser Leben, und wie gehen wir damit um, wenn wir einer Krise ausgesetzt werden. Wir können auch als Leser ein bisschen klüger werden, wenn wir das Buch lesen und erfahren, wie der Autor weitergekommen ist. Da ist so ein bisschen ein Lehrstück drin. Hoffnung ist immer sehr wichtig. In vielen Fällen ist es nicht so ernst wie bei Frid-Nielsen. Aber letztendlich geht keiner durchs Leben, ohne Schicksalsschläge zu erfahren“, bringt Turnowsky es auf den Punkt.
Gespräch mit Perspektive
Das Interview mit Turnowsky war eines der ersten Pressegespräche, die im Vorfeld der Buchpublikation veröffentlicht wurden. Frid-Nielsen bedankte sich anschließend im sozialen Online-Netzwerk „Facebook“ „für ein klar gegliedertes Gespräch mit Perspektive“.
Turnowsky bekam auch zur Aufgabe, sein Interview ins Dänische zu übersetzen. „Es ist in fast allen dänischen Provinzmedien erschienen. Das war schon ein gutes Gefühl, weniger aufgrund meiner Eitelkeit, sondern weil es für mein Empfinden eine wichtige Botschaft vermittelt und auf diese Art und Weise noch mehr Leser erreicht“, erklärt Turnowsky.
Der Interviewpartner legt sein Leben doch ziemlich in die Hände des Journalisten ...
Walter Turnowsky, Korrespondent
Grundvertrauen schaffen
Walter Turnowsky bereitete sich gut vor auf das Gespräch mit Frid-Nielsen. Dieser hatte seinem Verlag mitgeteilt, dass er unbedingt mit dem „Nordschleswiger“-Journalisten sprechen müsse. Um ein Interview eines solchen Charakters zu führen, sei es wichtig, ein Grundvertrauen zu schaffen, sagt Turnowsky.
„Der Interviewpartner legt sein Leben doch ziemlich in die Hände des Journalisten. Es ist ein Unterschied, ob ich einen kritischen Politiker interviewe, wo ich schreibe, was er sagt, und einem solchen Interview, wie dem mit Frid-Nielsen.“
Obwohl er im Mai 2020 voll in den Nachrichtenstrom eingebunden war, nahm Turnowsky sich Zeit, um das Interview sorgfältig auf sich wirken zu lassen. Beim Schreiben habe die Komponente des Übersetzens auch eine wichtige Rolle gespielt.
Interviews, an die man sich lange erinnert
„In meiner Zeit beim ,Nordschleswiger‘ ist es das Gespräch mit Frid-Nielsen, das mich am meisten bewegt hat.“ In der Laufbahn eines Journalisten oder einer Journalistin werde es, so Turnowsky, „ein paar Interviews geben“, an die man sich noch viele Jahre erinnert: „Das mit Niels ist eines davon.“
Büroplatz auf Christiansborg
Gerade in der schnelllebigen Zeit mit einem steten Nachrichtenstrom sei es ihm wichtig, sich mit Themen zu beschäftigen, die zum Reflektieren anregen. Turnowsky hat einen Büroplatz auf Christiansborg. Die Verwaltung des Folketings stellt Mitgliedern der sogenannten Presseloge eine gewisse Anzahl von Büros zur Verfügung.
Seit Beginn seiner Zeit beim „Nordschleswiger“ teilt sich Turnowsky ein kleines Büro mit einer Kollegin, mit der er ehemals bei einem grönländischen Medium zusammengearbeitet hat. „Mein Platz ist zwischen ,Ritzaus Büro‘ und ,Ekstrabladet‘. Da bekommt man schnell mit, was sich gerade so tut“, verrät Walter Turnowsky.
Siegfried Matlok, der ehemalige Chefredakteur des „Nordschleswigers“ und ehemalige Leiter des Sekretariates der deutschen Minderheit in Kopenhagen, war, so Turnowsky, der letzte Vertreter der Minderheitenzeitung mit einem persönlichen Büroplatz auf Christiansborg.
Gebürtiger Österreicher wuchs in Nordschleswig auf
Walter Turnowsky wurde in Österreich geboren, und er verbrachte seine Kindheit und Jugend in Nordschleswig. Seine Mutter, Herta Turnowsky, lebt im Pflegeheim in Ries/Rise. Sie verwitwete 2017. Walter Turnowsky besuchte die Einrichtungen der deutschen Minderheit. Herta Turnowsky war Lehrerin an der Deutschen Privatschule Apenrade (DPA), und sein Vater, Erich Turnowsky, unterrichtete am Deutschen Gymnasium für Nordschleswig (DGN).
„Ich habe meine Eltern als Lehrer gehabt. Meine Mutter war meine Musiklehrerin. Das war nicht der große Erfolg, denn ich bin fürchterlich unmusikalisch“, verrät Turnowsky und lacht. Noch bevor er nach Kopenhagen ging, um Biologie zu studieren, machte er Öffentlichkeitsarbeit für die Pfadfinder in Apenrade/Aabenraa. Nach dem Studium zog es ihn verstärkt in Richtung Öffentlichkeitsarbeit und Journalismus, und er bildete sich unter anderem in Dresden zum Fernsehjournalisten aus. Seine Frau Birthe Bertelsen, die aus Nordjütland kommt, kennt er seit vielen Jahren. Das Paar heiratete 2013, kurz bevor Walter Turnowsky nach Grönland ging. Die Eheleute haben keine Kinder.
Abwechslung von der Politik: Ein Spaziergang durch Nørrebro
Der Kopenhagen-Korrespondent berichtet über politische Themen und kommentiert wöchentlich das nationale Geschehen direkt aus der Hauptstadt in der Meinungsrubrik „Diese Woche in Kopenhagen“. Turnowsky nimmt seine Leser auch mit durch die Hauptstadt. Er und seine Frau leben im Stadtviertel Nørrebro. Bei Stadtwanderungen, die monatlich in der Rubrik „Spuren durch die Hauptstadt" im „Nordschleswiger“ erscheinen, zeigt er den Lesern bekannte und weniger bekannte Plätze. Turnowsky ist quasi das Bindeglied der Nordschleswiger zur Hauptstadt und zu Nordschleswigern, die sich in Kopenhagen niedergelassen haben.