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Handelskrieg: Dänische Rinder für deutsche Autos
Handelskrieg: Dänische Rinder für deutsche Autos
Handelskrieg: Dänische Rinder für deutsche Autos
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Handelskrieg: Dänemark wird 1967 langsam ungeduldig im Warteraum zur Europäischen Wirtschafts-Gemeinschaft (EWG). Dieser Artikel stammt aus einer Archiv-Serie von Siegfried Matlok über das 50-jährige Bestehen der EU.
Der französische Präsident de Gaulle sorgte mit seinem EWG-Veto dafür, dass Dänemark weiterhin im Warteraum Platz nehmen musste. Aber der Platz wurde langsam ungemütlich und die Hoffnungen auf eine Mitgliedschaft bekamen auch innenpolitisch einen Dämpfer, als Staatsminister Jens Otto Krag, Dänemarks Mr. Europa, im Dezember 1967 seine sozialdemokratische Minderheits-Regierung nach Zusammenarbeitsproblemen mit SF aufgeben und Neuwahlen ausschreiben musste. Mit dem Ergebnis, dass nach insgesamt 14 Jahren die Sozialdemokratie durch eine bürgerliche Regierung an der Macht abgelöst wurde.
Die Sozialdemokraten verloren bei der Wahl am 23. Januar 1968 sieben Mandate: Die bürgerlichen Parteien Venstre, Konservative und Radikale Venstre bildeten nun eine bürgerlich-liberale Mehrheits-Regierung unter der Leitung des Radikalen Hilmar Baunsgaard, beruflich Handelsagent, der wegen seiner TV-Fähigkeiten als erster populärer Fernseh-Staatsminister in die Geschichte einging.
Briten als trojanisches Pferd
Sein Vorgänger Krag hatte noch im Mai 1978 den dänischen Antrag auf eine EWG-Mitgliedschaft in Brüssel reaktiviert, aber de Gaulle blieb bei seinem „Non“, weil er insgeheim den Briten misstraute, ja sie für ein trojanisches Pferd der Amerikaner in Europa hielt.
Wie schwer de Gaulle in seiner anti-amerikanisch-britischen Skepsis zu bewegen war, zeigte sich auch im April 1967 beim Staatsbegräbnis seines Freundes Konrad Adenauer, als er nur zögernd dem amerikanischen Präsidenten die Hand reichte.
Rinder-Export geht dramatisch zurück
Der neue bundesdeutsche Außenminister Willy Brandt versuchte, eine Übergangslösung für Großbritannien und Dänemark zu finden – vergeblich. Dänemarks Probleme wurden immer größer.
Der dänische Landwirtschaftsexport stagnierte auch innerhalb der EFTA-Gruppe und war in den EWG-Ländern sogar rückläufig. Deutschland und Dänemark hatten ihren Handelsvertrag 1964 verlängert, aber die immer engere Agrarpolitik der EWG traf Dänemark immer härter.
Der Export dänischer Rinder sank von 225.000 Rinder plötzlich auf jährlich 75.000 und in manchen dänischen Kreisen machte man Deutschland als „vertragsbrüchig“ für diese Krise verantwortlich. Der Schuldenstand der Bauern stieg um 2,5 Milliarden Kronen, und eine Kronen-Abwertung – die DM kostete jetzt 1,87 Kronen – machte die Situation für viele noch schwieriger.
Boykott deutscher Waren
So kam es 1967 zu einem Boykott deutscher Waren in Dänemark durch den Verein „Helft der Landwirtschaft“, dessen Geschäftsführer der Advokat I. Midtgaard aus Brande war.
In der noch amtierenden Regierung Krag zeigte Wirtschaftsminister Ivar Nørgaard sogar Verständnis für die Aktion „Kauft keine deutschen Waren“, obwohl der einflussreiche Bauernpräsident Anders Andersen dem „Nordschleswiger“ erklärt hatte, „dass die dänischen Bauernverbände einen Handelskrieg gegen Deutschland ablehnen“.
„Wir werden den privaten Boykott gegen deutsche Waren nicht unterstützen“, sagte Andersen, der der Bundesrepublik bescheinigte, alles im Rahmen ihrer Möglichkeiten getan zu haben. Der deutsche Botschafter in Dänemark, Dr. Klaus Simon, bedauerte und protestierte im Außenministerium gegen den Boykott, doch die Lage eskalierte.
Der Boykott-Verein zählte vorübergehend 4.000 Mitglieder, vor allem in Jütland und auf Fünen, und Midtgaard drohte nun sogar mit folgenden Worten: „Unsere Mitglieder lehnen es ab, deutsche Autos zu kaufen, wenn sie nicht mit lebenden Rindern bezahlt werden können.“
Wie ein Bumerang kehrte diese Forderung jedoch zurück. In Schleswig wurde der „Hilfsfonds deutscher Bauern“ gegründet, mit der Ankündigung, vorläufig keine Landwirtschaftsgeräte- und Maschinen in Dänemark zu kaufen.
Jes Schmidt bringt Staatsminister in Verlegenheit
Bei der Fernsehdebatte vor der Folketingswahl fragte Nordschleswiger-Chefredakteur Jes Schmidt den kommenden Staatsminister Hilmar Baunsgaard nach seiner Haltung. Er zeigte ein gewisses Verständnis für diesen Boykott, kündigte jedoch an, dass die neue Regierung rasch Verhandlungen mit Bonn aufnehmen würde.
Die neue VKR-Regierung wurde im Folketing aber nicht nur mit der Rinderfrage konfrontiert, sondern auch mit außenpolitischen Äußerungen aus der Partei des Staatsministers – aber auch von Baunsgaard selbst – die sowohl in der Frage der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als auch einer dänischen Anerkennung der DDR Zweifel in Bonn ausgelöst hatte.
Um die Gemüter in Deutschland zu beruhigen, dementierte der dänische Botschafter in Bonn, Graf Knuth-Winterfeldt, sozusagen seinen neuen Staatsminister. Im Namen der neuen Regierung Baunsgaard gab er im Bonner Außenministerium eine Erklärung ab, in der die dänische Regierung sich weiterhin zur Nicht-Anerkennung bekannte und eine Lösung der deutschen Frage „aufgrund des Wunsches des deutschen Volkes nach Selbstbestimmung und Wiedervereinigung gefunden werden muss“.
Mit dem dänischen Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht wurden die Bonner Besorgnisse ausgeräumt. Das EWG-Problem war damit aber nicht vom Tisch. Staatsminister Baunsgaard und Außenminister Poul Hartling sprachen bei ihrem Besuch in Bonn auch die Rinderfrage an, mussten jedoch erkennen, dass nicht Bonn, sondern Brüssel Dreh- und Angelpunkt in dieser Frage sei.
Baunsgaards neue Zauberformel: Nordek
Was tun? Die neue bürgerliche Regierung hielt offiziell unverändert am Ziel einer EWG-Mitgliedschaft fest, aber Baunsgaard und seine Partei Radikale Venstre hatten auch historisch nordisch-romantische Vorstellungen.
Sie führten dazu, dass Baunsgaard 1968 einen Geheim-Plan aus der Schublade zog: Die Bildung einer nordischen Wirtschaftsgemeinschaft unter dem Namen „Nordek“ sollte eine Alternative bringen und war zumindest als Übergangslösung gedacht. Keiner ahnte zu diesem Zeitpunkt, wie lange Dänemark sich noch im Warteraum zur EWG aufhalten müsse.
Volksgruppe und die großen Mächte
Die deutsche Volksgruppe drängte weiterhin auf eine europäische Lösung – mit Deutschland und notfalls auch ohne Großbritannien. Auf einer Delegiertenversammlung im Oktober 1967 wurde eine pro-europäische Entschließung verabschiedet, wonach „im Hinblick auf die EWG im deutsch-dänischen Grenzraum gemeinsame Interessen wahrzunehmen sind“.
Das schien aber nicht alle Delegierten zu gefallen. Cornelius Tästensen aus Lügumkoster (Løgumkloster) fragte, welche Vor- und Nachteile man sich von einem EWG-Beitritt verspreche. „Was habe die deutsche Volksgruppe damit zu tun?“
Und Gerhard Kaadtmann aus Apenrade (Aabenraa) meinte sogar, „man könne sich leicht mit solchen Erklärungen lächerlich machen“.
Dafür seien die großen Mächte zuständig, lautete seine Haltung, während Generalsekretär Rudolf Stehr auf die Bedeutung bei der Zusammenarbeit zwischen allen Interessen über die Grenze hinweg hinwies und auch eine grenzüberschreitende Koordinierung der Wirtschafts- und Regionalpolitik forderte.
BDN und Moskau
Die Volksgruppe blieb jedoch mit großer Mehrheit bei ihrem pro-europäischen Kurs mit der Forderung nach Überwindung der EWG-EFTA-Grenze bei Krusau. Damit lag sie nun ein gutes Stück von der neuen Linie der Regierung Baunsgaard entfernt, die mit ihrer ambitionierten nordischen Initiative eine andere Richtung einschlug: gen Norden statt wie von der Volksgruppe erwünscht gen Süden.
Aber die deutsche Minderheit bekam plötzlich unerwartete Schützenhilfe – unerwünscht aus Moskau.
Zu diesem Artikel gehören noch zwei weitere:
- Alle Teile der Serie unter https://www.nordschleswiger.dk/de/50-jahre-eu-mitgliedschaft