Kulturkommentar
„Kontrollverlust“
Kontrollverlust
Kontrollverlust
Büchereidirektorin Claudia Knauer schreibt in einem Kulturkommentar, was passiert, wenn man die Kontrolle verliert.
Ja, wir hätten schon ganz gerne alles unter Kontrolle. Wir wollen bestimmen. Das beginnt beim Kleinkind, das sich schreiend auf den Boden wirft und brüllt: „Ich will die roten Socken anziehen. Ich will. Ich will. Ich will.“ Und das Kind muss dann feststellen, dass der Wille allein nicht ausreicht, wenn der Vater auf der blauen Strumpfhose besteht, weil es draußen kalt ist. Gut, das regelt sich, wenn man älter wird. Ist man von zu Hause ausgezogen, kann man ganz allein entscheiden, dass bauchfrei und Sandalen auch bei 12 Grad Außentemperatur eine zulässige Bekleidung sind. Den Schnupfen danach pflegt man ja auch selbst.
In Studium, Ausbildung oder Beruf stößt man dann auch immer wieder an die Grenzen, die andere setzen. Aber auch hier verändern sich die Dinge mit der Zeit – möglicherweise. Es besteht die Chance, das Heft des Handelns in die eigene Hand zu bekommen.
Und dennoch stehen wir Menschen immer wieder fassungslos vor unserer eigenen Machtlosigkeit. Die totale Kontrolle haben wir nicht. Zum Beispiel dann nicht, wenn ein Virus in unsere so geordnete Welt einbricht, dem wir – erst einmal – nichts entgegenzusetzen haben. Da können wir noch so lange wollen, dass es wieder weggeht – Kinder und manche Präsidenten äußern sich entsprechend. Erwachsenere wissen, dass wir doch nicht alles bestimmen können. Vor Jahrtausenden und Jahrhunderten hat man nicht greifbare Mächte dafür verantwortlich gemacht, die man durch Opfer oder Buße und Gebete gnädig zu stimmen hoffte. Aber es ging nur um die Hoffnung, nie um Gewissheit. Die Kultur hingegen können wir formen. Das ist der Grundgedanke von Kultur. Die Natur ändern wir grundsätzlich nicht, so sehr wir das wollen. Sie schlägt hammerhart zurück. Selbst der kleinste Löwenzahn zwängt sich zwischen den Betonplatten durch oder eben Viren, die ihren Weg vom Tier zum Mensch finden.
Wir tun gut daran, uns klarzumachen, dass wir nicht immer alles im Vorwege regeln und kontrollieren können. Und wenn dann der Regen, den wir auch nicht „wegmachen“ können, an Sommerwochenenden so richtig pladdert, sollten wir die Vorteile sehen: kein Rasenmähen, kein Teichauffüllen, keine Pflicht, den Nachbarn zum Grillen einzuladen, sondern die Chance, den Tag mit einem Buch auf dem Sofa zu genießen.