Kulturkommentar
„Jäger und Sammler 2.0“
Jäger und Sammler 2.0
Jäger und Sammler 2.0
Ein Kulturkommentar von Claudia Knauer, Büchereidirektorin, Verband Deutscher Büchereien Nordschleswig.
Damals, vor vielen Tausenden von Jahren, pirschten unsere Vorfahren durch die Steppe und die Wälder. Sie jagten und sammelten, was sie finden konnten. Sie mussten ihr Überleben sichern und man wusste nie, ob es morgen noch etwas gibt.
Seit einigen Jahrhunderten ist man da weitergekommen. Vorratskammer, Weckgläser und Pökelfleisch wurden abgelöst von Tiefkühltruhen, Vakuumverpackungen, Konservendosen und der Möglichkeit, jederzeit beim Versandhaus des Vertrauens etwas zu bestellen. Aber das Jäger- und Sammelgen ist mächtig. Der kulturelle Firnis bröckelt rasch – wenn es etwas umsonst gibt. Hervorragend zu beobachten beim Fest zum Tag der Deutschen Einheit in Kiel.
An der Kiellinie und rund um das Landeshaus boten viele Zelte die Chance, die anderen Bundesländer kennenlernen, zu erfahren, was Bundestag und – rat eigentlich so machen, und wie das Bundesverfassungsgericht aufgebaut ist. Alles spannend und wichtig – ohne Zweifel. Aber mehr als die wirtschaftlichen Möglichkeiten Thüringens interessierte die Bratwurst, für die sich lange Schlangen bildeten. Im Bayernzelt waren vor allem die Brezeln (die einfacher beim Bäcker um die Ecke zu kaufen wären) gefragt und das Bremen-Zelt war wegen des Kaffees gut besucht – zugegeben, hier musste man überall zahlen.
Noch viel wichtiger aber waren all die Give-Aways, die Dinge, die verschenkt wurden. Die freundlichen Damen und Herren hinter den Info-Tischen kamen gar nicht nach damit, die Leinenbeutel mit den verschiedensten Aufdrucken auszuteilen, die Schalen mit Gummibärchen in (nicht sehr ökologischen!) Plastiktütchen oder die Schlüsselanhänger aus Filz nachzufüllen. Eifrige (gefühlt auch: gierige) Hände langten zu und die Schalen waren im Handumdrehen leer. Sachsen flutete Kiel mit Luftballons (auch nicht ökologisch) und die Tragetaschen in Orange, Blau oder schreiend Pink mit dem Bundesadler gingen weg wie warmen Semmeln.
Wir sind Jäger und Sammler 2.0 – egal, wie kulturbeflissen wir uns geben. Es bleibt die Hoffnung, dass die Broschüren, die in den Tüten stecken, zuhause dann auch gelesen werden. Die Hoffnung, dass wir wirklich mehr über den Nachbarn lernen, stirbt ja zuletzt.