Kulturkommentar
„Gedichte – Tut das not?“
Gedichte – Tut das not?
Gedichte – Tut das not?
Ein Kulturkommentar von Claudia Knauer, Büchereidirektorin des Verbandes Deutscher Büchereien Nordschleswig.
… das fragt Meister Röhrich in den Werner Comics, und die Frage passt auch gut zu Gedichten. Lyrik, Poems, Gereimtes, in Verse und Strophen Gegossenes. Damit wird man in der Schule belästigt, muss zergliedern, Reimschema oder Versfuß finden und verliert dabei ganz den Blick für die Schönheit dieser Literaturgattung.
Während die über 70- oder 90-Jährigen heute noch freihändig „Die Bürgschaft“ zitieren können, könnte es bei den 20-Jährigen schon mit einem Vierzeiler kneifen. Dabei entgeht den Menschen, die nicht zumindest einmal versuchen, sich abseits aller Schulaufgaben auf Gedichte einzulassen, so viel. Wenn es ein gutes Gedicht ist oder zumindest gut für den, der es gerade liest, dann passiert das, was die russische Dichterin Anna Achmatowa so ausdrückt: „Nach einem Gedicht schaut man anders auf die Welt.“ Man stolpert über Worte, man wundert sich, man schmunzelt, und man hat einen anderen Blick gewonnen.
Beispiel gefällig?
„im langen riedgras kauern die kirchen aus weißem
rauhen stein: aus schmalen fenstern blicken
sie unverwandt und trotzig in den himmel,
wartend darauf, dass gott als erster blinzelt.“
Von Jan Wagner, ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse und dem Büchnerpreis. Er kommt auf Einladung der Literatur-AG am 29. Januar nach Apenrade in die Deutsche Zentralbücherei.
Lyriklesungen sind meist nicht ausverkauft, aber wer sich Gedichten nähern will, wer erleben will, welche Wohltat scharfe Beobachtungen, ein waches Gefühl für die Welt und die Menschen und die virtuose Beherrschung der deutschen Sprache sind, der sollte sich dieser Lyrik aussetzen. In ihr baden und schwelgen – und vom Autor so manches erfahren, was man über Poeten immer schon wissen wollte. Und dann ein bisschen anders auf die Welt schauen.