Kopenhagen

Refshaleøen: Vom Industriepark zum Kunstviertel

Refshaleøen: Vom Industriepark zum Künstlerviertel

Refshaleøen: Vom Industriepark zum Künstlerviertel

Erik Becker
Kopenhagen
Zuletzt aktualisiert um:
Kunst, Kultur und Kulinarik reichen sich auf Refshaleøen die Hände, so zum Beispiel auf dem Streetfoodmarkt „Reffen“. Foto: Erik Becker

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Werfthallen, Streetfood und Kunst: Am nördlichen Ende der Insel Amager zeigt sich Kopenhagen von seiner alternativen Seite. „Nordschleswiger”-Praktikant Erik Becker hat sich den einstigen Industriestandort abseits der Touristenmagnete angesehen.

„Was für ein trauriger Anblick“, denke ich, als ich vor der kleinen Meerjungfrau stehe. 

Es ist mein erster Tag in Kopenhagen. Sightseeing ist angesagt. Neben zwei Dutzend anderer Touris stehe ich am Ufer vor dem Wahrzeichen der dänischen Hauptstadt und versuche, nicht ins Wasser geschubst zu werden.

Rostige Industriehallen und Schornsteine ragen am gegenüberliegenden Ufer in den grauen Himmel. Kein besonders romantischer Hintergrund für Andersens Nixe mit dem sehnsuchtsvollen Blick. Angeblich existiert dort drüben ein sehenswertes Viertel. Gutes Essen, zeitgenössische Kunst und alternatives Flair wurden mir versprochen.

„Na gut“, denke ich mit deutscher Skepsis. Schauen wir mal.

Zwischen Containern und Lichterketten

Am nächsten Tag überquere ich die Inderhavnsbro und laufe in Richtung „CopenHill”, einer Wander-, Ski- und Kletterpiste auf dem Dach einer Müllverbrennungsanlage. Noch ist mir nicht klar, dass mich Kontraste wie diese den ganzen Tag über begleiten werden. 

Schließlich erreiche ich die Tore zur Halbinsel Refshaleø (deutsch: „Fuchsschwanzinsel”). Ab Mitte des 19. Jahrhunderts befand sich auf diesem künstlich angelegten Gebiet ein bedeutender Industriestandort. In den Werften, Produktionshallen und Lagern fanden Tausende Menschen Arbeit, insbesondere beim Maschinenhersteller Burmeister & Wain.

Mit dem Konkurs des Unternehmens 1996 endete das industrielle Kapitel auf der Halbinsel. Doch das Viertel erfand sich neu: Um die verlassenen Gebäude herum entstanden Räume für Kultur, Handwerk und Gastronomie.

Die Schilder vor den Toren der Halbinsel machen deutlich, dass es hier eine Menge zu sehen gibt. Foto: Erik Becker

Ein Viertel erfindet sich neu

Bereits am Eingang realisiere ich, dass ich am Tag zuvor falschlag. Bunte Schilder, Lichterketten und Fahrräder säumen den Weg auf das Areal, das vom anderen Ufer aus so leblos wirkt. 

Doch leblos ist hier gar nichts: Erwachsene, Kinder und Hunde kreuzen meinen Weg. Vor dem „Blocs & Walls” sitzen mehrere Personen in kleinen Gruppen zusammen. Das Gebäude erinnert noch an die industrielle Vergangenheit; auch die Initialen von Burmeister & Wain sind geblieben. Doch wo früher Motoren und Schiffsteile hergestellt wurden, wird heute Kaffee getrunken und Kuchen gegessen.

Das „Blocs & Walls” greift den Namen der ehemaligen Werft „Burmeister & Wain” auf. Hier befindet sich heute ein Café. Foto: Erik Becker

Streetfood auf „Reffen“

Ich laufe vorbei an Gewächshäusern, Appartements in schwimmenden Containern und an Gemeinschaftshochbeeten. Schließlich komme ich bei „Reffen“ an, einem bunten Streetfoodmarkt. Aus vielen Städten kennt man Streetfood in Form von Festivals, die an bestimmten Wochenenden stattfinden. „Reffen“ hingegen hat an jedem Tag des Jahres geöffnet und bietet Kulinarisches aus aller Welt an. 

Der Geruch von Gewürzen, Grillfleisch und Tee strömt in meine Nase. Unter Wimpeln und Blumenranken genießen Menschen Snacks und Getränke. Sanfter Indie aus einer Musikanlage vermischt sich mit dem Lachen von Möwen, die über den Ständen kreisen.

Ich halte an der „Reffen Brewery“ und lese die Karte. Die junge Frau am Tresen wartet geduldig auf meine Bestellung. Ich frage auf Englisch, was sie mir empfehlen könnte.

„Deutsch?“, fragt sie und lächelt.

„Deutsch“, antworte ich nickend.

Ulrike Zimbelmann steht in der „Reffen Brewery” an der Bar. Für ihren dänischen Freund zog sie nach Refshaleøen (zurück). Foto: Erik Becker

Ulrike stammt aus Deutschland. Sie erzählt mir, dass sie vor fünf Jahren das erste Mal auf Reffen gearbeitet hat. Damals war sie mit dem Rucksack durch Europa gereist. Nach ihrem Bachelor-Abschluss in Architektur zog sie für die Liebe zurück nach Refshaleøen. Seit diesem Sommer steht sie wieder hinter der Bar.

„Es ist toll hier. Für immer kann ich mir den Job allerdings nicht vorstellen“, sagt sie. Nach der Saison wolle sie mit ihrem Master-Studium beginnen.

Ulrike empfiehlt mir ein Reffen Beer – selbst gebraut hier auf dem Gelände des Streetfoodmarkts. Ich nehme ein Helles und setze mich auf eine Bierbank im Sand an der Nähe des Ufers. Das Bier schmeckt süffig-mild. Klare Empfehlung.

Wer auf Refshaleøen ist, sollte das Reffen Beer probieren. Es wird direkt vor Ort gebraut. Foto: Erik Becker

Es geht um die Wurst

Ich verlasse den bunten Markt und komme an den B&W-Hallen vorbei. Die zwei riesigen Gebäude aus den 1960er-Jahren prägen die Silhouette von Refshaleøen und sind auch vom anderen Ufer aus kaum zu übersehen. Auf dem Giebel der Halle 2 prangt in großen Buchstaben der Name der Halbinsel.

Hier gewann Conchita Wurst 2014 den Eurovision Song Contest. Doch von einstigem Glanz und Glamour keine Spur: Heute werden in der Halle Container gelagert. Graffitis, vergilbte Plakate und Rost säumen die Fassade. Aus dem brüchigen Asphalt vor den Hallen wächst Unkraut.

Doch Musik hat hier noch immer ein Zuhause. Auf der weitläufigen Fläche hinter den Hallen findet jährlich das Heavy-Metal-Festival „CopenHell” statt. Mit bis zu 50.000 Besucherinnen und Besuchern ist es in Skandinavien eines der größten seiner Art.

Die „B&W-Halle” Nummer 2 wurde nach dem Sieg Dänemarks beim Eurovision Song Contest 2014 zum Austragungsort der Veranstaltung. Foto: Erik Becker

Kunst im „Copenhagen Contemporary“

In einem Komplex aus Schweißerhallen befindet sich „Copenhagen Contemporary“ – eine Kunsthalle und gleichzeitig die letzte Station meines Ausflugs nach Refshaleøen.

Ich kaufe mir ein Studententicket und betrete die Ausstellung „The Length of the Horizon“ im Erdgeschoss. Mit Installationen aus riesigen Tüchern, Pflanzen und Glasskulpturen arbeitet die kanadisch-französische Künstlerin Kapwani Kiwanga soziale Ungleichheit und Machtdynamiken auf.

Meterhohe Kunstwerke beeindrucken in der Kunsthalle. Foto: Erik Becker

Auf der zweiten Etage treffe ich Louise aus Aarhus. Auch sie ist zum ersten Mal im „Copenhagen Contemporary”. 

„Ich bin gerade auf einem Wochenendtrip mit zwei Freundinnen hier in Kopenhagen. Wir haben Tickets für die Oper und wollten die Zeit vor der Vorstellung nutzen, um hierherzukommen“, erzählt sie mir. Louise interessiert sich für moderne Kunst und zeigt sich von der Ausstellung begeistert.

Louise Wiborg aus Aarhus verewigt sich im „Project Art Works” auf der zweiten Etage der Kunsthalle. Foto: Erik Becker

Mein Fazit

Als ich die Halbinsel wieder verlasse, habe ich ein schlechtes Gewissen.

Refshaleøen hat mich beeindruckt und überrascht. Die graue Kulisse aus Werfthallen und Industrieanlagen bietet Raum, der gestaltet werden will. Alle Akteurinnen und Akteure vor Ort tragen mit ihrem Wirken zu dem bunten Treiben unweit des Zentrums der Metropole Kopenhagen bei.

Eine echte Überraschung – und ein perfektes Ausflugsziel für alle Liebhaberinnen und Liebhaber von Kunst, Kultur und Gastronomie.

Mehr lesen

Leserbeitrag

Walter Christensen
„Johannisabend bei schönstem Sommerwetter an der Bucht Düwig“