Weltkriegsmunition

Giftiges Weltkriegserbe in Nord- und Ostsee

Giftiges Weltkriegserbe in Nord- und Ostsee

Giftiges Weltkriegserbe in Nord- und Ostsee

Kay Müller/shz.de
Kiel
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Mehr als 1,6 Millionen Tonnen Munition aus den Weltkriegen liegt auf dem Grund von Nord- und Ostsee. Foto: Kampfmittelraeumdienst

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Der Umweltminister steigert den Druck auf den Bund, um mit der Bergung von Weltkriegsmunition zu beginnen.

Die Zeit drängt. „Wir können das Problem nicht länger aufschieben“, sagt Umweltminister Jan Philipp Albrecht. Damit meint der Grünen-Politiker die rund 1,6 Millionen Tonnen konventioneller und rund 5000 Tonnen chemischer Munition, die am Grund der deutschen Nord- und Ostsee liegen. „Es gibt immer mehr Hinweise, dass die Munition zunehmend instabiler wird. Wir müssen jetzt ins Handeln kommen.“

Fordert zweistelligen Millionenbetrag, um einen Fahrplan für die Bergung der Munition im Meer zu schaffen: Umweltminister Jan Philipp Albrecht. Foto: Marcus Dewanger

Das bedeutet, immer mehr Giftstoffe werden frei, die sich sich in Meeresflora und -fauna anreichern können – und über die Nahrungskette auch den Menschen erreichen. 

Je mehr von der Munition durchrostet, desto mehr Explosivstoffe werden freigesetzt. Und die sind krebserregend.

Edmund Maser, Institut für Toxikologie UKSH

Deswegen bringt Albrecht jetzt auf der Umweltkonferenz der Länder mit Mecklenburg-Vorpommern und Bremen einen Antrag ein, mit dem er den Einstieg in die Entsorgung erreichen will. „Wir brauchen mindestens einen zweistelligen Millionenbetrag – das können die Küstenländer nicht allein stemmen.“

Ich fühle mich vom Bund im Stich gelassen.

Jan Philipp Albrecht (Grüne), Umweltminister

Zwar hat die Konferenz schon vor eineinhalb Jahren so ein Konzept beschlossen, allerdings sei seit dem nicht viel passiert. Gerade habe die Große Koalition einen Antrag von Grünen und FDP im Bundestag abgelehnt, der genau das gefordert hat. „Ich fühle mich vom Bund im Stich gelassen“, klagt Albrecht.

Das Umweltministerium will weitgehend auf Sprengungen verzichten, um die Umwelt so wenig wie möglich mit Giftstoffen zu belasten. Foto: dpa/Carsten Rehder

Er will einen Fahrplan, was wann geborgen wird. „Dazu müssen wir flächendeckend ins Wasser schauen, überall da wo wir Hinweise auf Altlasten haben.“ Nur so könne man genauer sagen, wo Munition liegt und in welchem Zustand sie ist. Das sei teuer, genau wie die Bergung. Wie viel es kosten würde, alle Altlasten aus dem Meer zu holen, ist auch unter Experten unklar. Allerdings gibt es Bergungstechniken, die das ermöglichen, wie etwa Unterwasserroboter. „Wir müssen zügig zu mehr Pilotprojekten bei der robotischen Entsorgung kommen“, fordert Albrecht.

Probleme für Bau von Windparks

„Wir kennen sicher nicht alle Gebiete, in denen Munition liegt, aber wir kennen die Hotspots“, sagt der Meeresbiologe aus Koblenz, der sich seit Jahren mit dem Problem beschäftigt.

Doch bislang habe die Politik nicht reagiert. Es gebe immer nur Berichte und Absichtserklärungen, sagt Nehring. Dabei könne man schon jetzt mit der Bergung beginnen – etwa der Giftgasgranaten, die er in der Lübecker Bucht vermutet oder im Munitionsversenkungsgebiet Kolberger Heide vor Kiel. Denn noch sei der Großteil der Munition offenbar intakt. „Wir werden nicht jede einzelne Bombe bergen können, aber wir könnten zumindest mal damit anfangen“, so Nehring. Sonst übernehme der Rost irgendwann das Regime und die Kampfstoffe entweichen ins Meer.

Bundestag vertagt das Thema

Doch der Bundestag konnte sich vor einer Woche nicht zu einem Beschluss durchringen. So forderten etwa Vertreter der Regierungsfraktionen eine internationale Lösung, wie etwa einen 500 Millionen Euro schweren Fonds der Ostseeanrainerstaaten, für den der Rostocker CDU-Abgeordnete Peter Stein plädierte. Vertreter aller Fraktionen wiesen auf die Dringlichkeit des Themas hin, verwiesen es dann aber in den Umweltausschuss, wo sie es weiter diskutieren wollen. „Mit Prüfungen und Diskussionen kommen wir aber nicht weiter“, meint Meeresforscher Nehring.

Das Problem ist bei uns durchaus erkannt. Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren dieses Thema ständig auf ihrer Agenda gehabt.

Astrid Damerow, CDU-Bundestagsabgeordnete

Umweltminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) sagt, dass er das genauso sieht. Wenn die Regierungsfraktionen von Union und SPD im Bundestag einen Antrag von FDP und Grünen nicht annehmen wollten, sollten sie einen anderen einbringen – wenn sie denn das Thema voranbringen wollten, so Albrecht. Die schleswig-holsteinische CDU-Abgeordnete Astrid Damerow sagte im Parlament, ihre Fraktion erarbeite gerade einen derartigen Antrag. „Das Problem ist bei uns durchaus erkannt. Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren dieses Thema ständig auf ihrer Agenda gehabt.“

Wer zahlt für die Bergung

Das Problem ist offenbar, dass die Finanzierung zwischen Bund und Ländern immer noch ungeklärt ist. Deshalb will Albrecht heute auf der Umweltkonferenz der Länder den Druck auf den Bund verstärken, damit dort auch endlich über Geld gesprochen werde. Denn es sei nachgewiesen, dass etwa TNT ins Meer, so in den biologischen Kreislauf und damit auf die Teller der Menschen komme. Erste Hinweise von erhöhten Krebsraten bei Fischen in Munitionsversenkungsgebieten gibt es. Noch gebe es keine Gefahr für Menschen, weil die Dosen gering seien, so Albrecht. Aber je mehr Munitionsreste ins Wasser gelangen, desto gefährlicher werde es. Zudem seien alte Munitionskörper anfälliger für Detonationen – was etwa den Aufbau von Offshore-Windparks erschwere.

Das sieht auch Stefan Nehrung so: „Betreiber von Windparks müssen auch Munition im Meer beseitigen. Es geht also. Aber warum können Unternehmen das, der Staat aber nicht?“

 

Wie lange noch?

Ein Kommentar von Kay Müller

Zehn Jahre. So lange ist es her, dass der Expertenkreis „Munition im Meer“ seinen ersten Bericht veröffentlicht hat. Seitdem wird er immer wieder aktualisiert und immer mehr Fundstellen werden verzeichnet – allerdings ist der letzte Bericht schon drei Jahre alt. Natürlich ist es richtig, auch weiter zu suchen, wo historische Altlasten in Nord- und Ostsee liegen – aber vor allem muss endlich mit der Bergung der Granaten und Bomben begonnen werden, von denen längst bekannt ist, wo sie liegen.

Doch seit mehr als zehn Jahren ignoriert die Politik, dass krebserregendes TNT, leicht entflammbares Phosphor und Schwermetalle in die Meere gelangen – auch weil die Dosen gering sind. Bergungstechnik ist längst vorhanden, aber eben extrem teuer, deswegen will sie keiner bezahlen. Das Problem wird zwischen Bund und Ländern hin und her geschoben – ohne Ergebnis. Mit jedem Jahr mehr aber, in dem Politik und Verwaltung über das Problem reden, aber nicht handeln, erledigt sich die Altlast Stück für Stück ein bisschen von selbst. Mag sein, dass die Munitionsreste im Meer unserer Gesundheit nicht schaden. Aber was, wenn doch?

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